Zum Hauptinhalt springen

Welches ist die richtige Schaltung für mein Velo?

Erstellt von Patrik Widmer | | 47° Nord

Zweifelsohne eine Frage, die sich nicht einfach so beantworten lässt. Zum Einen, weil die Antwort von deinem Einsatzzweck und Fahrstil abhängt, zum Anderen, weil „Die Schaltung“ längst eine Vielzahl von Optionen und Varianten bereithält.


Aber bevor wir über eine bestimmte Schaltgruppe sprechen, möchte ich an dieser Stelle auf zwei entscheidende Faktoren eingehen, die sich teilweise zuwider laufen.

Der Übersetzungsbereich

Der Übersetzungsbereich wird meistens in Prozenten angegeben und entspricht dem Verhältnis des grössten zum kleinsten Gang. Ein Übersetzungsbereich von 500% bedeutet, dass der grösste Gang 5 Mal so gross ist wie der kleinste Gang. Der Faktor dient dazu, unterschiedliche Schaltungssysteme miteinander zu vergleichen, sagt aber nichts über die effektive Entfaltung des kleinsten respektive grössten Ganges aus.

Alles klar, ich nehm für mein Velo einfach eine Schaltung mit einem grossen Übersetzungsbereich, dann komme ich in der Ebene genau so fix vorwärts wie am Berg. Klingt logisch, aber du ahnst es: das Ganze hat einen Haken.

Der Gangsprung

Der Gangsprung gibt die Differenz zwischen zwei benachbarten Gängen an. Der Faktor wird in der Praxis meistens als Prozentsatz angegeben. Anders gesagt, der Wert gibt an um wie viel strenger ein Gang zum nächsten ist.

Je kleiner der Wert, desto feiner sind die Gänge abgestuft. Kleine Gangsprünge sind ideal, um immer mit der optimalen Trittfrequenz fahren zu können. Leider ist die Anzahl Ritzel beschränkt und je feiner die Kassette abgestuft ist, desto kleiner wird auch der Übersetzungsbereich. Umgekehrt hat eine breit abgestufte Kassette, wie wir sie etwa von modernen 1x12-Gang Schaltungen kennen, zwar den Vorteil, dass der Übersetzungsbereich ziemlich gross ist. Als Folge aber die Gangsprünge auch deutlich grösser werden.

Wie kannst du den Gangsprung berechnen?

Der Gangsprung lässt sich anhand der folgenden Formel berechnen:

Gs=(ig-ik)ik× 100


Hier gehts zum Artikel

Machen wir doch einmal ein paar Beispiele.

Wir stellen drei handelsübliche Schaltungen einander gegenüber. Eine Shimano 3x10 Gang Trekking Schaltung, eine 2x11 Gravel Schaltung sowie eine 1x11 Gravel Schaltung. Damit die unterschiedlichen Schaltungen vergleichbar sind verwende ich jeweils die gleiche Laufradgrösse: ETRTO 37-622. Warum dies wichtig ist erkläre ich in diesem Video zum Thema Entfaltung.

 

Die Entfaltung

Theoretisch hat die Schaltung 30-Gänge. Sofern wir sie Verschleiss optimiert nutzen, verzichten wir auf die Gänge mit dem grössten Schräglauf der Kette (rot markiert), haben folglich noch 26 Gänge übrig. Wenn wir nun noch die Gänge mit Überschneidungen (gelb Markiert) abziehen bleiben 15 effektiv nutzbare Gänge übrig. Der leichteste Gang hat eine Entfaltung von 1,59m, der schwerste (schnellste) Gang hat eine Entfaltung von 9.60m. Der Übersetzungsbereich beträgt 604%

hinten
vorne
36
 
32
 
28
 
24
 
21
 
19
 
17
 
15
 
13
 
11
 
261.591.792.042.382.723.013.363.814.45.2
362.22.482.833.33.774.174.665.286.097.2
482.933.33.774.45.035.566.217.048.129.6

Ein ähnliches Bild wie oben zeigt sich auch hier. Fahren wir Verschleiss optimiert, entfallen von den 22 Gängen die zwei extrem Positionen (rot markiert). Ziehen wir noch die Überschneidungen ab bleiben ebenfalls 15 echte Gänge übrig. Der leichteste Gang hat eine Entfaltung von 1,94m, der schwerste Gang hat eine Entfaltung von 9.20m. Der Übersetzungsbereich beträgt 474%

hinten
vorne
34
 
30
 
27
 
25
 
23
 
21
 
19
 
17
 
15
 
13
 
11
 
301.942.22.442.642.873.143.473.884.45.086
462.983.373.754.054.44.825.335.956.757.789.2

Bei Schaltungen mit Mono-Kettenblatt sehen wir grosszügig über den Kettenschräglauf hinweg. Spätestens bei 12- und 13-fach System läuft diese in einem nahezu identischen Winkel wie bei 2x11 Systemen in den extrem Positionen, entsprechend hoch ist der Verschleiss. Der leichteste Gang hat eine Entfaltung von  1,91m, der schwerste Gang hat eine Entfaltung von 8m. Der Übersetzungsbereich beträgt 418%.

Fazit

In den drei Beispielen wird ersichtlich, dass mit abnehmender Anzahl Kettenblätter auch der Übersetzungsbereich kleiner wird und dadurch die Gangsprünge grösser sind. Während die Schaltung mit zwei Kettenblättern und die mit nur einem Kettenblatt vom Umfang her sehr ähnlich sind, gibt es zu den Schaltungen mit drei Kettenblättern einen deutlichen Unterschied. Bei letzterer sind die leichteren Gänge ein grosser Komfortgewinn.

Hingegen ist es fraglich, ob Übersetzungen von 11-48 Zähnen, welche bei der gewählten Laufradgrösse zu einer Entfaltung von 9.6m führen, überhaupt fahrbar sind. Ausgehend von einer Trittfrequenz von 85 Umdrehungen pro Minute  erreicht man damit eine Geschwindigkeit von 49km/h. In der Fläche wären ungefähr 650 Watt Leistung nötig um diese Geschwindigkeit zu erreich; ein Bereich der für die allermeisten Velofahrenden schlicht unerreichbar ist.

Ich finde, dass die meisten Systeme zu streng übersetzt und deshalb nur wenig Kundenfreundlich sind. Spätestens, wenn wir uns mit der Entfaltung auseinandersetzen wird auch klar, dass immer grössere Laufradumfänge, welche mit zunehmenden Reifenvolumen einhergehen, in diesem Zusammenhang wenig hilfreich sind. Systeme mit Mono Kettenblatt mögen durch einfachere Schaltvorgänge überzeugen, doch bleibt bei Übersetzungsbereichen unter 500% auch viel Komfort auf der Strecke.

Wenn wir diese Systeme zu leichteren Gängen hin untersetzen, was in der Praxis oft notwendig ist, fehlen uns irgendwann die schwereren schnellen Gänge. Ausgehend von dem kleinsten Gang aus unserer 3x10 Schaltung mit einer Entfaltung von 1,59m, müssten wir bei der 1x11 Schaltung das Kettenblatt durch ein deutlich kleineres mit 32 Zähnen ersetzen, um einen ebenso leichten Gang zu erhalten. Der schwerste Gang hat dann gerade mal noch eine Entfaltung von 6.8m. Damit erreichst du eine maximale Geschwindigkeit von noch gerade 34.7km/h, bei einer Trittfrequenz von 85 Umdrehungen pro Minute.

 

Spezialisierung auf den Einsatzzweck

Du musst dich folglich entscheiden ob du auf Geschwindigkeit und optimale Trittfrequenz aus bist, oder mit einem vollgepackten Velo den Berg hoch fahren willst. Beides gleichzeitig ist mit den modernen Schaltsystemen kaum zu realisieren. Vom Wunsch nach einem „optimalen Velo für alles“ entfernen wir uns dadurch etwas weiter, auch wenn das Schaltsystem in dem Zusammenhang nur ein Faktor unter vielen ist.

Vorteile:

  • Bei mehrfach Kettenblättern kann ich durch Schalten des Umwerfers einen grossen Gangsprung schalten.
  • Schaltungen mit nur einem Kettenblatt sind einfacher zu bedienen da sie wie ein Getriebe eine lineare Logik haben: ist es zu streng, klickst du auf Minus, ist es zu leicht, entsprechend auf Plus.

Nachteile:

  • Mehrfach Kettenblätter benötigen mehr Komponenten, dadurch wird das System anfälliger für Fehler.
  • Mehrfach Kettenblätter sind komplizierter: es gibt zwei Schaltwerke und zwei Schalthebel - ich muss entsprechend richtig kombinieren.
  • Bei mono Kettenblättern muss ich viele Gänge schalten um einen grossen Gangsprung zu schalten.

 

Zurück